Lieblich sterben. Soglio, Varanasi, Ischia, Pompeij

[English version below.] Was passiert, wenn wir tot sind?, fragt das Kind. Vor einigen Tagen erhielt ich Post von Walter Siegfried. Er schickt mir einen Gruß aus seinem externen Gehirn. Walter ist Sänger, Performer, Wissenschaftler. Seit Jahrzehnten unterhält und pflegt er eine digitale Wunderkammer, einen umfangreichen Schatz an Wissen, Bildern, Tönen, Texten, Verknüpfungen, die er…

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Dia de los Muertos

Gespräch mit der Künstlerin Kristin Brunner über das mexikanische Totenfest, Friedhofsrituale, Skelette aus Zucker und das bunte Jenseits. Kristin Brunner beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit dem mexikanischen Totenkult und dessen aztekischen Ursprungsmythen. Kristin wurde in Mexiko geboren und verbrachte Kindheit und Jugend dort und teils in den USA. Mit 16 Jahren zog sie…

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Pragfriedhof. Stuttgart

[English version below.] Die Bahn, die zum Friedhof fährt, fährt weiter nach Stammheim. Das Wort klingelt im Ohr; lange nicht gehört. Es blättert ein ganzes Album verblasster 1970er Jahre Kindheitserinnerungen auf. Braune Cordhosen, beige-grüne Häkelweste, jungenhafte Kurzhaarfrisur; weißer Ford mit silberner Stoßstange, rote Kunstledersitze, ich mit meinen drei älteren Geschwistern hinten. Schwarz-weiße Fernsehbilder, RAF, Schleyer-Entführung,…

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müssen

Das Wort müssen – ich muss, du musst, er/sie/es muss, wir müssen, ihr müsst, sie müssen – ist eines der meist verwendeten Worte der deutschen Sprache, insbesondere in ihrem öffentlichen Gebrauch. Der Bereich der politischen Rede kommt kaum ohne das Wort müssen aus, und auch in Ansprachen, Interviews, Statements von Leuten aus der Wirtschaft, dem…

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Wilder Thymian. Portbou

[English version below.] Walter Benjamins Aktentasche wurde nie gefunden. Das angeblich enthaltene Manuskript gilt als verschollen. Zeuginnen berichten, er habe die braune Ledertasche keine Sekunde aus den Händen gelassen während der beschwerlichen Wanderung auf dem alten Schmugglerpfad von Frankreich über die spanische Grenze nach Portbou. Was der Nachwelt bleibt sind Mutmaßungen und Spekulationen ohne handfeste…

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Schneckensommer

Was für ein Sommer! Es regnet und regnet und regnet. Über Wasserknappheit brauchen wir uns in Süddeutschland in diesen Monaten nicht zu beklagen. Die Regentonnen laufen über. Aus den Gullideckeln quillt das Wasser. Die Wiesen verwandeln sich in vollgesogene Schwämme, die unbefestigten Wege in Schlammpisten. Es plätschert, trommelt, pladdert und plätschert. Und wenn der Regen…

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Bevölkerung statt Volk

Was machen wir jetzt bloß? Wie werden wir diese Typen und die miese Stimmung, die sie verbreiten, wieder los? Gemeint sind die Rechten, die mit dem rechts-politischen und rechts-populistischen Spektrum Sympathisierenden, die Neonazis und AfDler:innen, die Lautstarken, die andauernd „das Volk“ sagen, die Trumps dieser Welt und die mit ihnen Fraternisierenden, all die Miesmacher und…

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Warum gendern?

Es ist einer dieser extrem heißen Sommertage. Das Außenthermometer an der Hauswand misst 34 Grad im Schatten. Nicht eine Regenwolke weit und breit. Am Lindenbaum vor meinem Fenster regt sich kein Blättchen. Die Luft steht still. Man selbst tut ebenfalls gut daran, sich still zu verhalten. Schnelle Bewegungen vermeiden. Drinnen bleiben und nichts denken oder…

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Ist das da draußen „die Natur“?

Morgens um fünf, ich liege wach. Es braucht nicht viel, um den letzten Schleier Schläfrigkeit zu lüften, der mich noch trennt vom Tag. Mein Dämmerzustand um die Uhrzeit ist dünn wie Chiffon. Im Hühnerstall hinter dem Haus kräht der Hahn. Auch du, Gockel. Der schwarze Hahn, der meinem Schlaf den Dolch ins fadenscheinige Gewand sticht,…

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Pionierin für den Frieden: Bertha von Suttner

Kurz nachdem im Februar dieses Jahres der Krieg um und in der Ukraine ausbrach, fing ich an, die Bücher der Friedensnobelpreisträgerin von 1905 Bertha von Suttner zu lesen. Zuerst die umfangreichen Memoiren, danach ihren Beststeller „Die Waffen nieder!“. Letzteres wurde 1889 veröffentlicht und beschreibt den Leidensweg einer österreichischen Frau in der Mitte des 19. Jahrhunderts.…

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Virtuelle Realitäten

In einer Münchner Kunstgalerie gab es kürzlich ein Virtual-Reality Projekt zu sehen bzw. zu erleben. Zusammen mit einer zweiten Person konnte man in eine digital gestaltete Landschaft eintauchen und dort sowohl miteinander interagieren als auch in Wechselwirkung zu der sichtbaren Umgebung treten. Meine Erfahrungen mit Datenbrillen sind etwas veraltet und stammen aus der Zeit der…

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Die verborgene Sängerin, vorerst letzte Folge (30)

Ein großer leerer Platz vor einer großen leeren Stadt. Vor einem Jahr noch empfand ich die ungewohnte Leere und Abwesenheit von städtischer Betriebsamkeit faszinierend, wohltuend sogar. Etwas atmete erleichtert auf in globalen Dimensionen, etwas schien zur Ruhe zu kommen, sich neu besinnen zu wollen. Auf der Theresienwiese wuchsen Palmen. Der Himmel war ein von Kondensstreifen…

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Menschen und Knospen (29)

Nie waren wir den Pflanzen ähnlicher als in diesem noch jungen Jahr. Das gesellschaftliche Gewebe vegetiert vor sich hin. Die Verständigung darüber, dass wir soziale Wesen sind funktioniert gerade irgendwie unterirdisch. Oder durch die Luft, den digitalen Äther. Woche um Woche vergeht. Schon ist es Mitte März. Man möchte aufblühen, raus aus der engen Hülle,…

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In Lüften reiche Schätze (28)

Nunc lege, nunc ora, nunc cum fervore labora.Nunc contemplare,nunc scripturas meditare.Nunc etiam pausa,ne mortis sit tibi causa! (Mittleralterliche Ordensregel) Bald lies, bald bete,bald arbeite mit Eifer.Bald betrachte,bald meditiere die Schrift.Bald halt auch inne,damit du dir nicht den Tod holst! Süßer, zu süßlich künstlicher Geruch nach Fruchtaromen zieht uns in die Nasen. Zwei junge Frauen rauchen…

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Das zweite Jahr (27)

Wir blinzeln in die Sonne, ein Tag wie Frühling, aber es ist noch kein Frühling. Acht Wochen verschärfter Lockdown liegen hinter uns, bald zwei Monate geschlossene Gesellschaft, und niemand kann sagen, wann der Ausnahmezustand enden wird. Franz und ich treffen uns zum ersten Spaziergang im neuen Jahr am Münchner Gasteig. Das dortige Lokal „Gast“ musste…

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Die verborgene Sängerin (25.1)

„Denn Humus ist die Basis unseres irdischen Lebens, er ist buchstäblich sein Anfang und sein Ende, er entsteht durch Leben, und Leben entsteht durch ihn. Er ist der vielfältigste, verworrenste, erstaunlichste, weiseste und zugleich primitivste Ausgleich zwischen den unzähligen Gestaltungen und den noch unzähligeren Bedürfnissen des Lebens. Er ist die unablässige Verwandlung des Zustands, den…

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