Die verborgene Sängerin, vorerst letzte Folge (30)

Ein großer leerer Platz vor einer großen leeren Stadt. Vor einem Jahr noch empfand ich die ungewohnte Leere und Abwesenheit von städtischer Betriebsamkeit faszinierend, wohltuend sogar. Etwas atmete erleichtert auf in globalen Dimensionen, etwas schien zur Ruhe zu kommen, sich neu besinnen zu wollen. Auf der Theresienwiese wuchsen Palmen. Der Himmel war ein von Kondensstreifen…

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Menschen und Knospen (29)

Nie waren wir den Pflanzen ähnlicher als in diesem noch jungen Jahr. Das gesellschaftliche Gewebe vegetiert vor sich hin. Die Verständigung darüber, dass wir soziale Wesen sind funktioniert gerade irgendwie unterirdisch. Oder durch die Luft, den digitalen Äther. Woche um Woche vergeht. Schon ist es Mitte März. Man möchte aufblühen, raus aus der engen Hülle,…

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In Lüften reiche Schätze (28)

Nunc lege, nunc ora, nunc cum fervore labora.Nunc contemplare,nunc scripturas meditare.Nunc etiam pausa,ne mortis sit tibi causa! (Mittleralterliche Ordensregel) Bald lies, bald bete,bald arbeite mit Eifer.Bald betrachte,bald meditiere die Schrift.Bald halt auch inne,damit du dir nicht den Tod holst! Süßer, zu süßlich künstlicher Geruch nach Fruchtaromen zieht uns in die Nasen. Zwei junge Frauen rauchen…

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Das zweite Jahr (27)

Wir blinzeln in die Sonne, ein Tag wie Frühling, aber es ist noch kein Frühling. Acht Wochen verschärfter Lockdown liegen hinter uns, bald zwei Monate geschlossene Gesellschaft, und niemand kann sagen, wann der Ausnahmezustand enden wird. Franz und ich treffen uns zum ersten Spaziergang im neuen Jahr am Münchner Gasteig. Das dortige Lokal „Gast“ musste…

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Die verborgene Sängerin (26.1)

„Für Menschen heißt Leben – wie das Lateinische, also die Sprache des vielleicht zutiefst politischen unter den uns bekannten Völkern, sagt – soviel wie ‚unter den Menschen weilen‘ (inter homines esse) und Sterben soviel wie ‚aufhören unter Menschen zu weilen‘ (desinere inter homines esse).“ (Hannah Arendt in „Vita activa“) Möchte man in diesen Tagen Anfang…

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Die verborgene Sängerin (19.1)

„Historisch betrachtet haben Pandemien die Menschen gezwungen, mit der Vergangenheit zu brechen und sich ihre Welt neu vorzustellen. Diese Pandemie ist nicht anders. Sie ist ein Portal, ein Tor zwischen einer Welt und der nächsten. Wir können wählen, durch das Tor hindurch zu gehen und die Kadaver unserer Vorurteile und unseres Hasses, unserer Habsucht, unserer…

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Die verborgene Sängerin (19.2)

Vom Kaufhof, der insolventen Warenhauskette, könnte ich erzählen, dass er vor 141 Jahren aus einem kleinen Stralsunder Laden für Garne, Wolle, Knöpfe und Stoffe hervorgegangen war. Herr Tietz, der Gründer, führte Festpreise, Barzahlung und Rückgaberecht ein. Damals neu und innovativ. Es folgten Aufstieg, Expansion, eigene Produktionsstätten, 15.000 Beschäftigte, Filialhäuser in vielen deutschen Städten, Erfolg, Enteignung und…

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Die verborgene Sängerin (11.2)

Ferdinand-Miller-Platz, Maxvorstadt. Eine Ecke weiter liegt die Erzgießereistraße. In diesem Viertel wurde die Eintausendfünfhundertsechzig Zentner schwere Bavaria gegossen, in vier Teilen. Der Entwurf für die Statue stammte von Leo v. Klenze und dem Bildhauer Ludwig Schwanthaler. Die Erzgießer Johann Baptist Stiglmaier und dessen Neffe Ferdinand Miller erhielten 1837 den Auftrag zur Produktion in der von…

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Die verborgene Sängerin (10)

Mancherorts haben Sicherheitskräfte die Kinderspielplätze mit rot-weißem Plastikabsperrband umwickelt und abgesperrt, als handele es sich um Tatorte von Verbrechen. So auch im Münchner Arnulfpark, wo Franz und ich uns zum Spaziergang treffen. Park meint hier den städtebaulichen Euphemismus zwischen Hackerbrücke und Donnersbergerbrücke, für Nicht-Münchner: ein weitläufiges Neubaugebiet entlang der Schienenhauptachse zum Münchner Hauptbahnhof. Direkt entlang…

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Die verborgene Sängerin (9.1)

„Mit dem Herumlaufen allein ist es nicht getan. Ich muß eine Art Heimatkunde treiben, mich um die Vergangenheit und Zukunft dieser Stadt kümmern, dieser Stadt, die immer unterwegs, immer im Begriff, anders zu werden, ist.“ (Franz Hessel) Auch wenn die einsamen Flaneure des 20. Jahrhunderts, Walter Benjamin, Robert Walser oder der oben aus seinem „Lehrbuch…

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Die verborgene Sängerin (9.2)

„Will man sich nun erinnern, daß nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Geister, und vor allem die Bilder wohnen, so liegt greifbar vor Augen, was den Flaneur beschäftigt und was er sucht. Nämlich die Bilder wo immer sie hausen.“ (Walter Benjamin in: „Die Wiederkehr des Flaneurs“) Spazierengehen hebt die Stimmung, das haben wissenschaftliche Studien…

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Im Verborgenen Singen (8)

Nun ward der Frühling unserer Distanz. Die Lindenbäume in ihren entzückend knappen zarten Blätterkleidchen säumen wie Fronleichnamsmädchen die Straßen, Gehsteige und Fahrradwege. An den Litfaßsäulen werben immer noch Plakate für Phantomveranstaltungen im März und April. Vor dem Schaufenster eines Modegeschäfts steht eine Frau in die Betrachtung einer frisch eingekleideten Schaufensterpuppe vertieft, als seien wir an…

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Im Verborgenen Singen (7)

„Ich möchte laut über die Mauern hinausrufen: O bitte beachten Sie doch diesen herrlichen Tag! Vergessen Sie nicht, wenn Sie noch so beschäftigt sind, den Kopf zu heben und einen Blick auf diese riesigen, silbernen Wolken zu werfen und auf den stillen blauen Ozean, in dem sie schwimmen. Beachten Sie doch die Luft, die vom…

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Im Verborgenen Singen (6)

Doch, wir machen weiter. Auf getrennten Wegen zwar, aber wir machen weiter. Franz durchstreift seinen lokalen Nahbereich und ich den meinen. Die verborgene Sängerin erwarten wir momentan nicht zu finden. Es geht mehr darum, den aufgenommenen Faden zwischen den Fingern zu halten, weitermachen als energetisches Prinzip, im Feld bleiben, nicht die Spannung verlieren. Gerade in…

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Im Verborgenen Singen (5)

Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heuteNur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.Weder die Berge sind noch aufgegangen des WaldesGipfel nach Wunsch und leer ruht von Gesange die Luft.Trüb ists heut, es schlummern die Gäng und die Gassen und fast willMir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit. (…)(Friedrich…

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Im Verborgenen Singen (4)

„Die kalte, harte Präzision der Zahlen hält uns oft rücksichtslos gefangen, aber wir müssen vergeben, bis wir nicht mehr zählen können.“ (Matteo Cella, Priester in Nembro, Lombardei) Singen im Freien ist gefährlich geworden, es sei denn der Gesang tönt von Balkonen herüber und herab, wie im tapferen traurigen Italien. München kokettierte in den Zeiten, die…

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Die verborgene Sängerin. Eine Recherche in München.

>> Direkt zum Start des Projekts im Blog Oder erst Infos zum Projekt lesen: Vor einigen Jahren hörte ich zum ersten Mal von der „Verborgenen Sängerin“, einer geheimnisvollen Sänge­rin und Performerin, die ausschließlich unter freiem Himmel singt. Bis dahin war sie vor allem in ländlichen Gegenden in Erscheinung getreten. Es hieß, sie tauche unangekündigt irgendwo auf, am Ackerrand, inmitten einer…

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