Die verborgene Sängerin (15.1)

Frühmorgens, wenn der Wind ungünstig stand, schlug einem beim Verlassen des Wohnhauses übler Geruch entgegen. Der Geruch von Schlachthof, von Fleischverarbeitung und totem Vieh. Im Erdgeschoss wurden Schlachtermesser und silberne Kettenhemden für Metzger verkauft. An manchen Tagen stand ein weißer Plastikbottich in der Größe eines Ölfasses vor der Ladentür, der Ladenbesitzer, ein stämmiger Mann in…

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Die verborgene Sängerin (15.2)

Der Münchner Schlachthof verdankt seine Existenz einer Pandemie. Im Jahr 1866 grassierte die Cholera in der Stadt und forderte viele Todesopfer, der Hygieniker Max von Pettenkofer forderte bessere Hygienestandards. Beides führte zur Einrichtung zentraler kommunaler Schlachthöfe. Zuvor war von den Metzgern und Gastwirten noch im eigenen Haus geschlachtet worden. Obwohl im Zweiten Weltkrieg dann große…

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Die verborgene Sängerin (13)

Wo in anderen Jahren um diese Zeit das Tollwood Festival stattfindet, wächst in diesem Jahr Gras drüber. Auf dem leeren Festplatz sprießt ein zarter grüner Flaum wie Haare auf einem Glatzköpfigen, dessen Hormonhaushalt von einer frischen Liebe verjüngt und gedüngt wurde. Der Festivalbetrieb macht Pause. Keine Theater- und Musikzelte, keine fliegenden Bauten, keine Food-Buden und…

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Die verborgene Sängerin (12.2)

Utopien und Verfehlungen. Es sollten heitere Spiele werden im Sommer 1972, ein Gegenentwurf zur Olympiade 1936 in Berlin, wo die Nationalsozialisten den olympischen Gedanken mit Heldenpathos überzuckert hatten. In München plante man Spiele im Grünen, bunte Spiele, man wollte Völkerverständigung und Weltoffenheit demonstrieren, ein anderes Deutschlandbild zeigen, ein Land zeigen, das aus seiner Vergangenheit gelernt…

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Die verborgene Sängerin (11.2)

Ferdinand-Miller-Platz, Maxvorstadt. Eine Ecke weiter liegt die Erzgießereistraße. In diesem Viertel wurde die Eintausendfünfhundertsechzig Zentner schwere Bavaria gegossen, in vier Teilen. Der Entwurf für die Statue stammte von Leo v. Klenze und dem Bildhauer Ludwig Schwanthaler. Die Erzgießer Johann Baptist Stiglmaier und dessen Neffe Ferdinand Miller erhielten 1837 den Auftrag zur Produktion in der von…

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Die verborgene Sängerin (10)

Mancherorts haben Sicherheitskräfte die Kinderspielplätze mit rot-weißem Plastikabsperrband umwickelt und abgesperrt, als handele es sich um Tatorte von Verbrechen. So auch im Münchner Arnulfpark, wo Franz und ich uns zum Spaziergang treffen. Park meint hier den städtebaulichen Euphemismus zwischen Hackerbrücke und Donnersbergerbrücke, für Nicht-Münchner: ein weitläufiges Neubaugebiet entlang der Schienenhauptachse zum Münchner Hauptbahnhof. Direkt entlang…

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Im Verborgenen Singen (8)

Nun ward der Frühling unserer Distanz. Die Lindenbäume in ihren entzückend knappen zarten Blätterkleidchen säumen wie Fronleichnamsmädchen die Straßen, Gehsteige und Fahrradwege. An den Litfaßsäulen werben immer noch Plakate für Phantomveranstaltungen im März und April. Vor dem Schaufenster eines Modegeschäfts steht eine Frau in die Betrachtung einer frisch eingekleideten Schaufensterpuppe vertieft, als seien wir an…

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Im Verborgenen Singen (6)

Doch, wir machen weiter. Auf getrennten Wegen zwar, aber wir machen weiter. Franz durchstreift seinen lokalen Nahbereich und ich den meinen. Die verborgene Sängerin erwarten wir momentan nicht zu finden. Es geht mehr darum, den aufgenommenen Faden zwischen den Fingern zu halten, weitermachen als energetisches Prinzip, im Feld bleiben, nicht die Spannung verlieren. Gerade in…

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Im Verborgenen Singen (4)

„Die kalte, harte Präzision der Zahlen hält uns oft rücksichtslos gefangen, aber wir müssen vergeben, bis wir nicht mehr zählen können.“ (Matteo Cella, Priester in Nembro, Lombardei) Singen im Freien ist gefährlich geworden, es sei denn der Gesang tönt von Balkonen herüber und herab, wie im tapferen traurigen Italien. München kokettierte in den Zeiten, die…

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Die verborgene Sängerin (2)

Nichts ist von Dauer, nichts ist vollendet und nichts ist perfekt. (Prinzipien des Wabi-Sabi) Die Suche nach der „verborgenen Sängerin“ wird unbeabsichtigt zu einer Chronik des Verschwindens von Öffentlichkeit aus dem öffentlichen Raum. Noch tanzen die Surfbretter auf der Eisbachwelle. Noch gehen die Menschen im Englischen Garten spazieren, noch joggen sie, fahren Rad, flanieren, führen…

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