Eine Freundin macht gerade ein Stille-Retreat, fünf Tage Schweigen. Würde sie, wenn sie in dieser Zeit schriebe, die Stille brechen?

Über das Verhältnis von Schreiben und Schweigen, oder Schreiben und Stille nachzudenken finde ich spannend. Wobei Schweigen nicht unbedingt Stillsein bedeutet, und Stille nicht zwangsläufig mit Schweigsamkeit gleichzusetzen ist. Der US-amerikanische Musiker, Künstler und Autor John Cage widmete ein ganzes Buch dem Thema Stille, „Silence“ (aus dem Amerikanischen übersetzt von Ernst Jandl). Von Cage wird auch berichtet, er habe in den späten 1940er Jahren die echofreie Kammer der Universität Harvard besucht. Wände, Decke und Boden einer echofreien Kammer sind schalldicht aufgebaut, so dass weder Geräusche eindringen noch zurückgeworfen werden. Cage betrat den schalltoten Raum mit der Erwartung, absolut nichts zu hören. Später schrieb er: “[I] heard two sounds, one high and one low. When I described them to the engineer in charge, he informed me that the high one was my nervous system in operation, the low one my blood in circulation.” (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/4′33″) – Wir können nicht nichts hören.

Stille ist ein seltsames Zugleich. Etwas ist da – man selbst, und etwas ist nicht da – man selbst in der Geschäftigkeit des Seins. Stille kann drinnen sein, im Haus, im Zimmer, im Herzen. Sie kann auch der ungeheuere Raum sein, der uns umgibt, das große Draußen. Stille kann Angst machen, große Angst, und Stille kann beruhigen, besänftigen, erleichtern. Dasselbe lässt sich vom Schreiben sagen.

Als ich jünger war und mein Schreiben – wiewohl unbewusst – eher noch eigentherapeutischen Zwecken diente, Zwecken der Selbstbehauptung und Selbstermächtigung, schrieb ich, um überhaupt zu Wort zu kommen. Ich schrieb, um mir Gehör zu verschaffen, und wie ich hoffte, nicht nur um gehört, sondern um verstanden zu werden. Und zwar von ALLEN!, oder zumindest von zumindest irgendwem.

Später fand ich es interessanter nach innen zu schreiben, still zu werden, zu horchen, was dann geschieht. Der französische Philosoph Jean-Luc Nancy formuliert: „Die ‚Stille’ muss sich hier tatsächlich vernehmen, nicht als eine Privation sondern als eine Disposition zur Resonanz: ein wenig – sogar genau so … – wie man in einer vollkommenen Stille seinen eigenen Körper klingen hört, seinen Atem, sein Herz und seine gesamte hallende Höhle.“ (Aus: Jean-Luc Nancy: Zum Gehör. Zürich-Berlin, 2010.)
Stille verstanden jedoch nicht als Rückzug von der Welt, als einsames Ausharren in der Mönchszelle. Die Stille, die mich schreibend interessiert, enthält die Welt.

Kurze abschließende Anekdote über den Musiker Igor Strawinsky, ebenfalls aus dem Buch „Zum Gehör“: „Strawinsky lauschte mit sechs Jahren einem stummen Bauern, der mit seinem Arm ganz eigentümliche Klänge produzierte, die der künftige Musiker zu reproduzieren suchte: So suchte er nach einer anderen Stimme, stimmhafter oder weniger stimmlich als die des Mundes, nach einem anderen Klang für einen anderen Sinn als den, der sich ausspricht.“