Am Wochenende auf DVD „Ein russischer Sommer“ gesehen. Der Film nach dem Roman „The Last Station“ von Jay Parini spielt in Russland und handelt vom letzten Lebensjahr des Schriftstellers Leo Tolstoi. Der junge Valentin Bulgakow, Tolstoi Anhänger und angehender Dichter, wird von Tolstois Moskauer Freund und Unterstützer Vladimir Chertkov als neuer Sekretär eingestellt. Er reist zu Tolstois Landgut Jasnaja Poljana, wo die Familie Tolstoi den Sommer verbringt. Die Situation im Umfeld des berühmten Schriftstellers ist heikel und angespannt: Tolstoi möchte, gestützt vom fanatischen Chertkov, die Rechte an seinem Werk dem russischen Volk überschreiben. Tolstois Frau Sofia kämpft dagegen darum, die Rechte in der Familie zu halten, damit ihre und Tolstois Kinder davon profitieren. Tolstoi ist 82 Jahre alt, es wird sein letzter Sommer sein.
Schöner Film, wunderbare Schauspieler. Helen Mirren als temperamentvolle, etwas überdrehte Gräfin Tolstoi. Christopher Plummer als kluger, altersweiser, humorvoller und sehr menschlicher Tolstoi. In einer weiteren Hauptrolle: das Schreiben.

In wenigen Filmen habe ich so viele Menschen ständig schreiben sehen. Nicht nur der Schriftsteller wird schreibend gezeigt, handschriftlich schreibend. Sein Schreibtisch quillt über von beschriebenen Papieren und gefüllten Kladden. In einer Szene sitzt Tolstoi frühmorgens auf dem Balkon und macht Notizen, seine Gattin, die Gräfin, gesellt sich zu ihm, ebenfalls mit dickem Tagebuch, in das sie sofort zu schreiben beginnt. Der Arzt Tolstois besitzt ein kleines Büchlein, in das er fortwährend etwas hinein notiert, was die Gräfin, sobald sie es bemerkt, jedesmal erzürnt. „Was kritzeln Sie da schon wieder?!“
Als Tolstoi gegen den Willen seiner Frau in einer verschworenen Unterschriftenzeremonie im Wald unter raschelnden Birken sein neues Testament unterschreiben will funktioniert sein Füller nicht. Doch keiner der Anwesenden, die aus politischen Gründen an der Unterzeichnung interessiert sind, hat einen Ersatzstift dabei. Vladimir ist es, der unbedeutende Sekretär und angehende Dichter, der schließlich ein Schreibutensil zutage fördert.
Der junge Vladimir bekommt gleich zweimal ein Notizbuch geschenkt. Das erste von Chertkov, noch in Moskau, mit dem Auftrag, Tagebuch zu führen und alles mitzuschreiben, was auf Jasnaja Poljana vor sich geht, insbesondere solle er, alles, was von der Gräfin gesagt wird, festhalten. Sofia und Chertkov sind erbitterte Feinde, sie zerren beide an Tolstoi, wollen ihn ganz für sich vereinnahmen. Mutter- und Ehegattinnengefühle vs. politisches Kalkül. Das zweite Tagebuch wird folglich von Sofia an Vladimir verschenkt. Auch sie fordert ihn auf, alles, was auf Jasnaja Poljana vor sich geht, aufzuschreiben. „Alles, was du siehst!
Und so sitzt der junge Sekretär jeden Abend an seinem Holztisch und schreibt. Zuerst das verordnete Tagebuch für Chertkov. Dann schlägt er das andere Tagebuch auf. Als er den Stift ansetzt, lächelt er.

Würde die Geschichte 100 Jahre später in der Jetztzeit spielen, wären anstelle von Notizbüchern fotografierende Smartphones im Dauereinsatz. Alles, was du siehst. – Aber nein, das wäre natürlich nicht das Gleiche, wie aufzuschreiben, was man sieht. Jedenfalls ein weitblickender Tipp, den die Gräfin und erfahrene Schriftstellergattin dem jungen Dichter gab.