Heute blieb ich bei einem Video im Netz hängen, in dem jemand über die Zukunft des „Storytellings“ nachdachte. Darüber, wie Geschichten erzählt werden, insbesondere mittels digitaler Medien. Er sagte, die Geschichten von morgen würden keinen Anfang und kein Ende mehr haben, Vergangenheit und Gegenwart würden miteinander verschmelzen in dem Sinne, dass  reale Orte zu Speichermedien von Erzählungen werden und wir mit Hilfe von 3D Brillen und ähnlichen Hilfsgeräten die Schauplätze von fiktiven Handlungen und dokumentierten geschichtlichen Ereignissen „betreten“ könnten.
Ebenfalls heute stieß ich auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung über den „Reiz der ungedruckten Bücher“ und die Frage, ob Literatur vom technischen Fortschritt profitieren könne. Als Beispiel wurde der kleine Londoner Verlag Visual Editions (http://visual-editions.com) genannt, der in Zusammenarbeit mit Google elektronische “Bücher“ produziert. Bücher, die nicht mehr nur aus Texten bestehen, sondern auch Reize für das Auge bieten, multimediale Effekte, nicht-lineare Erzählstrukturen.

Das ist alles nichts Neues, über interaktive (Hyper-)Texte wurde bereits im Zusammenhang mit der sog. Netzliteratur um die Jahrtausendwende nachgedacht und auch solche Texte geschrieben und veröffentlicht. Damals natürlich noch nicht mit den Möglichkeiten der Technik von heute. Damals wie heute scheint die Diskussion die „eigentliche“ Literatur kaum zu betreffen. Der Roman in seiner klassischen Form wird nach wie vor als die Königsdisziplin der Belletristik gefeiert. Insbesondere der historische Roman und der Krimi liefern zuverlässige Langerzählungen mit Anfang und Ende und aristotelischer Spannungsdramaturgie – der männlichen Sexualität nachempfunden (Exposition, Steigerung, Höhe-/Wendepunkt, retardierendes Moment, Katastrophe). Die Versuche von James Joyce, Gertrude Stein, Arno Schmidt u.a. den Roman anders zu denken und seine Geschlossenheit aufzubrechen sind wohl nur noch Gegenstand literaturwissenschaftlicher Seminare.

Wie aber würde ein Roman des 21. Jahrhunderts aussehen? Eine literarische Form (wie auch immer sie dann genannt würde), die sich strukturell mehr an der weiblichen Sexualität anlehnte; postheroisch, Ressourcenorientiert anstatt Mangel- und Katastrophenorientiert, multiperspektivisch, offen für Komplexität, doch ohne kompliziert zu werden und ohne Komplexität zu reduzieren. Eine literarische Form, die nicht in altbewährten Erzählstrategien erstarrt, sondern neu zu spielen wagt als Antwort auf die Zeit, in der wir leben.

Ich denke weiter darüber nach, leider einsam. Oder kennt wer wen, den solche Fragen auch interessieren?