Mein neues Buch ist da! BAUSTAUB. Es geht darin um die Renovierung eines alten, denkmalgeschützten Bauernhauses in Oberbayern und um jede Menge Staub. Baustaub in allen Farben und Schattierungen. Es geht auch um die Frage, wie wir leben wollen: Was ist uns wichtig? Wie wollen wir unsere unmittelbare Umwelt gestalten und wie unsere sozialen Beziehungen?

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Leseprobe

Ein Haus unter einem Walnussbaum. Das Haus ist alt und der Baum nicht mehr jung. In früheren Zeiten pflanzte man vor die Küchen­fenster der Bauernhäuser Walnussbäume, um die Mücken abzuhalten. Den Duft der Blätter mögen Mücken nicht.
Wer den Walnusskeim in die Erde setzte und das Bäumchen pflanzte, das inzwischen das Haus überragt, also wer von denen, die das Haus in den fast vierhundert Jahren seit dem 17. Jahrhundert bewohnten, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Jetzt sind wir an der Reihe, wir haben das renovierungsbedürf­tige alte Bauernhaus gekauft.

Es ist kein Traumhaus. So viel steht fest. Das Haus unter dem Walnussbaum gleicht eher der Momentaufnahme in einem Verfallsszenario. Das Dach muss gedeckt, die morschen und wurmstichigen Balken müssen ausgebessert, verstärkt und ersetzt werden, die Dielen geschliffen, die Wände gedämmt, verputzt, gestrichen. Rohre, Leitungen, Wasseranschlüsse, Heizung, Fenster.
In fast jedem Zimmer hängt ein gekreuzigter Jesus an der Wand. In der Tenne liegt unter vergilbten Zeitungen ein zerfleddertes gelbes Taschenbuch über Marienerscheinungen in Medjugorje.

Worauf haben wir uns bloß eingelassen??!

In einem emaillierten Nachttopf sammeln wir herausgezogene Nägel, Metallteile und Schrauben. Der Putz bröckelt aus den Nagellöchern. Auf den Fensterbrettern liegen Hummelmumien und Schmetterlings­flügel. Wir wirbeln eimerweise Staub auf und klemmen die Stromkabel ab. Ein unverplombtes Stromkabel führt am offiziellen Zähler vorbei ins Nichts.

Das Haus hat uns erwählt, so kommt es mir vor, nicht wir das Haus. Wir werden Gäste darin sein, genau wie jene, die vor uns hier lebten, und jene, die nach uns kommen werden. Denn Gebäude wie dieses kann man nicht besitzen, man bleibt eine Weile und geht vorüber. Ein solches Haus als Immobilie zu bezeichnen wird seinem Wesen nicht gerecht. Man würde auch den Walnussbaum nicht als Immobilie bezeichnen, obwohl er sich nicht von der Stelle bewegt. Haus und Baum sind Reisende in der Zeit und nur in der Zeit. Dinge, Häuser, Bäume und auch Menschen können in sich ruhen und dennoch in Bewegung sein. Bewegung, das weiß ich, seit ich einen Mann liebe, der von Beruf Baustatiker ist, Bewegung und Beweglichkeit sind Qualitäten des Inneren, der Struktur, nicht zwingend eine Folge häufiger Ortswechsel.

Das Haus wird uns verändern, es hat schon begonnen, wir merken es nur noch nicht. Wer werden wir sein, wenn wir mit den Renovierungsarbeiten fertig sind?

Im Moment weiß ich noch nicht einmal, was ich im aktuellen Leben bin. Eigentümerin eines halben Hauses, Grundbesitzerin auf dem Papier, Insektenleichenbeschauerin, Staubwedlerin. Mein Liebster und ich haben ein Haus zur Welt gebracht. Ich fühle mich wie die bosnisch-herzegowinische Jungfrau mit Kind. Das zeitreisende Bauernhaus wurde als unser zukünftiges Zuhause reinkarniert. Das Überschreiten der Schwelle von einer Lebensphase in die nächste macht mich schwindeln.

Und Bäume, dies jedenfalls weiß ich gewiss, gehören wie der Himmel, die Wolken, der Wind, das Gras und alle Wildnis und mein Liebster sich selbst. Der Walnussbaum spendet uns seinen Schatten, wir befreien den Stamm von Gestrüpp und Nebenbewuchs. Aufatmen. Erste Abendsonne. Der Nachbar vom Haus gegenüber bringt ein Feierabendbier vorbei.