[English version below]
Als ich mich vor einiger Zeit aufgrund eines plötzlichen Todesfalls in der Familie auf dem Friedhof von Venedig wiederfand, begann für mich die Beschäftigung mit einer Thematik, die auf den ersten Blick etwas morbide erscheinen mag. Anfangs war es nur die venezianische Friedhofsinsel San Michele, die mich in ihren Bann zog und auf die ich möglichst bald zurückkehren wollte. Die stille Insel, zu der das Begräbnisboot übergesetzt hatte, wirkt wie der Gegenentwurf zum Wahnsinn des Überturismus, der auf den Gassen und Kanälen rund um den Markusplatz und die Rialto Brücke das Bild Venedigs prägt. Die Fahrt zum Friedhof war eine kurze Reise in ein Jenseits, das mit dem Diesseits des täglichen Lebens zwar verbunden ist, gleichzeitig von anderen, eben jenseitigeren Gesetzmäßigkeiten bestimmt wird. Sogar die eigene Wahrnehmung verändert sich und der Boden unter den Füßen beginnt ein wenig zu schwanken.
Wieder zuhause fing ich an zu recherchieren, ich wollte mehr über San Michele erfahren. Irgendetwas ließ mich nicht los, irgendetwas ging von dort aus, ein Ruf, ein Sog, eine Aufforderung, mich einzulassen. Den Friedhof von Venedig als Ausgangspunkt nehmen. Ich forschte zur Stadt Venedig und zu Friedhöfen im Allgemeinen. Ich stieß auf einen Mönch, der im Mittelalter auf San Michele gelebt und gearbeitet hatte, und der als Kartenzeichner und Kosmograph in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Er hieß Fra Mauro. Seine genauen Lebensdaten sind nicht bekannt, ca. 1385 – 1459. Er hinterließ eine knapp zwei mal zwei Meter große Weltkarte, eine Mappamondo, versehen mit Hunderten von Zeichnungen, Beschriftungen und Legenden. Die Karte gibt Auskunft über die damaligen Vorstellungen der bewohnbaren Welt, der Gewässer, Länder, Gebirge, Schiffe, aber auch der Menschen und Wesen, die Europa, Afrika, Asien bevölkerten – mehr Kontinente kannte man Mitte des 15. Jahrhunderts in Venedig noch nicht. Die kreisrunde Karte auf quadratischem Hintergrund blieb erhalten und wird heute in der Biblioteca Nazionale Marciana aufbewahrt. In den vier Ecken des Quadrats befinden sich zusätzliche Zeichnungen zu Himmelskörpern, Gezeiten, Elementen. In der Ecke links unten zeigt eine bezaubernde Malerei das irdische Paradies.
Vom Friedhof zum Paradies. Das Wort Friedhof bedeutete ursprünglich umfriedeter Raum. Das Wort Paradies weist ebenfalls auf einen eingehegten Raum hin, eine Gartenfläche, den Garten Eden. In diesem Spannungsfeld zwischen Diesseits und Jenseits, Glück und Tod, Mythos, Dokumentation und Fiktion stöbere ich und fahnde nach irdischen Paradiesen, verborgenen Gärten, holy places, sacred spaces, abseitigen, vielseitigen, verletzlichen Strukturen, Architekturen, magischen Räumen. Fragen nach Übergängen und Verbindungen von hier nach dort – wie kommt man hin?! wie orientiert man sich? wie bleibt man drin? – beschäftigen mich ebenfalls. Die Rechercheergebnisse und Texte dazu erscheinen sukzessive hier im Blog. Aktuelle Informationen und Benachrichtigungen über neue Blogbeiträge erhaltet ihr über den Newsletter
Der erste Text, den ich dem Projekt voranstelle, entstand bereits vor einigen Jahren. Er trägt den Titel „Wilder Thymian“ und führt in den Norden Spaniens zum Friedhof von Portbou. Weitere Texte folgen in unregelmäßigen Abständen.
English version as translated by deepl.com (free version)
– no guarantee for the accuracy and stile of language
The Cemetery Project
When I found myself in the cemetery in Venice some time ago due to a sudden death in the family, I began to explore a subject that may seem somewhat morbid at first glance. Initially, it was only the Venetian cemetery island of San Michele that captivated me and I wanted to return to it as soon as possible. The quiet island, to which the funeral boat had ferried me, seems like the antithesis of the madness of overturism that characterizes the image of Venice on the alleys and canals around St. Mark’s Square and the Rialto Bridge. The trip to the cemetery was a short journey to the „other side“, which is connected to the here and now of everyday life, but at the same time is determined by other, more otherworldly laws. The perception changes and the ground beneath one‘s feet begins to sway a little.
Back home, I started researching, I wanted to find out more about San Michele. Something wouldn’t let me go, something emanated from there, a call, a pull, an invitation to get involved. Taking the cemetery of Venice as a starting point I researched the city of Venice and cemeteries in general. I came across a monk who had lived and worked on San Michele in the Middle Ages and who appeared in history books as cartographer and cosmographer. His name was Fra Mauro. The exact dates of his life are not known, around 1385 – 1459, but he left behind a map of the world measuring almost two by two meters, a mappamondo, with hundreds of drawings, inscriptions and legends. The map provides information about the ideas of the habitable world at the time, the waters, countries, mountains, ships, but also the people and creatures that populated Europe, Africa and Asia – other continents were not yet known in Venice in the middle of the 15th century. The circular map on a square background has been preserved and is now kept in the Biblioteca Nazionale Marciana. In the four corners of the square are additional drawings of celestial bodies, tides and elements. In the bottom left corner, an enchanting painting depicts the earthly paradise.
From cemetery to paradise. The word cemetery originally meant an enclosed space. The word paradise also refers to an enclosed space, a garden area, the Garden of Eden. In this field of tension between this world and the hereafter, happiness and death, myth, documentation and fiction, I rummage and search for earthly paradises, hidden gardens, holy places, sacred spaces, remote, versatile, vulnerable structures, architectures, magical spaces. Questions about transitions and connections from here to there – how do you get there?! how do you orientate yourself? how do you stay in? – will also occupy me.
The first text of the project was written a few years ago. It is entitled „Wild Thyme“ and leads to the north of Spain to the cemetery of Portbou. Further texts will follow at irregular intervals here on my blog.