Zum Literaturnobelpreis für Peter Handke wird in diesen Tagen viel geschrieben, gepostet, geredet und im besten Fall diskutiert. Ich gehöre zu denjenigen, die sein Buch über Serbien nicht gelesen und seine Rede am Grab von Slobodan Milosevic nicht gehört haben. Vielleicht hätte der Preis Handke schon früher, vor 1996, verliehen werden sollen.

Von Handke stammt, auf sein Schreiben bezogen, der treffliche Satz: „Die Sprache ist nicht, sie wird.“ In diesem einen Satz steckt Wahrheit und Anspruch zugleich, das ist die Hürde, die das Schreiben erst zu einer Form der Kunst, zu Literatur macht.

Der Fall Handkes erinnert entfernt an einen anderen Fall: Knut Hamsun. Der norwegische Schriftsteller erhielt 1920 den Literaturnobelpreis. Sein Ruhm wurde und wird jedoch überschattet von seinem späteren aktiven Eintreten für den Nationalsozialismus. Am 7. Mai 1945 erschien sogar ein von Hamsun verfasster Nachruf auf Hitler in der Zeitung Aftenposten, worin er über diesen schrieb: „Er war ein Krieger, ein Krieger für die Menschheit und ein Verkünder des Evangeliums vom Recht für alle Völker. Er war eine reformatorische Gestalt von höchstem Rang und sein historisches Schicksal war es, in einer Zeit beispielloser Rohheit wirken zu müssen, der er schließlich zum Opfer fiel.“ Nach seiner Motivation für den Nachruf gefragt, antwortete Hamsun: „Es war eine Geste der Ritterlichkeit einer gefallenen Größe gegenüber.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Knut_Hamsun)

Vom schwedischen Schriftsteller Per Olov Enquist gibt es ein Buch über Hamsun, ein Filmdrehbuch, in dem die Jahre zwischen 1936 und 1953 im Fokus stehen und die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Hamsun Partei und dabei so entsetzlich verblendet danebengriff. P.O. Enquists abschließende Sätze über Hamsun könnten auch für Peter Handke gelten:

„Schließlich bleibt die wichtigste Frage: Warum?
Nicht, um ein Urteil zu fällen, das ist nicht mehr nötig, nicht, um zu entschuldigen, das ist noch weniger nötig. Sondern für uns selbst, zum Nachdenken. (…)
Das größte Problem aber ist kein privates, und nicht nur ein Problem Hamsuns. Es lag nicht darin, daß er sich entschloss, eine politische Rolle zu spielen, sondern daß er seine Autorität von einem Gebiet, auf dem er es durch Engagement, Fleiß, Ausdauer, Talent und intellektuelle Brillanz so weit wie überhaupt möglich gebracht hatte, daß er also seine Autorität von dem Gebiet des Romans auf ein anderes Feld, nämlich das der Politik übertrug, mit dessen Problematik sich zu befassen seine Kraft überstieg. Die Tugenden, auf die er seine Autorität gebannt hatte, waren in gewisser Weise zu fein für das Feld der Politik. Oder er schaffte es nicht. Oder fand, er sei zu alt. Oder war zu taub, oder müde, oder arrogant, oder hochmütig.
Der Hochmut! Er entschloss sich, weit zu sehen und nicht auf die Wirklichkeit hinunterzublicken. (…)
Dieses Hansumsche Syndrom ist zeitlos. Sein zweiter Ausdruck ist der geschlossene Dichterturm: Abgewandtheit, Hochmut und eine Nonchalance, für die Abgeschiedenheit eine Handlungsalternative war. Das andere Gesicht des Hochmuts. Auch das gehört zum Hansumschen Syndrom, und es ist eine in unserer Zeit normalere Krankheit. Aber im Grunde ist es nur ein anderer Teil desselben Problems.
Weit sehen zu können und gleichzeitig kurz zu sehen, ist die Alternative. Das ist nicht leicht. Aber wer hat gesagt, daß es leicht sein soll.“

(Zitiert nach: Per Olov Enquist: Hansum. Eine Filmerzählung. 1996. Auf deutsch: Carl Hanser Verlag, München, 2004)