Nach einer Lesung kam kürzlich ein Mann auf mich zugeschossen, Alter so um die 60, und fragte, wo denn nun das Politische in meinen Texten sei. Ich hatte einige Prosastücke vorgelesen, die von familiären Erlebnissen erzählen, Fragmente über meine Großmutter, eine Geschichte über „Tante Adelheid“ und ein kurzes Stück über einen verstorbenen Onkel. Es ging um Tod und Alter, um die Suche nach dem, was von einem Menschen am Ende bleibt, um die herausfordernden Dinge des Lebens eben, die uns allen früher oder später begegnen.

Die Frage des Mannes aus dem Publikum nach dem Politischen wirkte, als trachte er danach, zu provozieren, mich irgendwie aus der Reserve zu locken. Die Art, in der er mir so unvermittelt den Revolver seiner Frage auf die Brust setzte, war nicht besonders höflich und erweckte den Eindruck, er wolle sich vor allem selbst in Szene setzen. Ein wenig eitel, mehr unbewusst als bewusst. Ein Gespräch anfangen geht jedenfalls anders. Ich wusste keine gute Antwort, hatte jedoch das Bedürfnis, den Mann in seine Schranken zu verweisen. Eine „schlagfertige“ Antwort wäre wohl angebracht gewesen, gleichzeitig war ich kein bisschen in Stimmung, den Gestus des Angriffs zu erwidern. Wozu auch so ein Schlagabtausch? Ausprobieren, wer stärker ist? Überlegenheit demonstrieren? Sich aufplustern, sich positionieren?

Ein Gespräch, das den Namen verdient hätte, kam auf die Weise nicht zustande. Ich warf ein paar Themenbrocken in den Ring, ein zweiter Mann trat hinzu und beteiligte sich. Zwei Frauen, die neben mir standen, schwiegen bereten. Ich konnte ihnen anmerken, dass sie keine Lust hatten mitzutun.

Der Rede des Mannes entnahm ich, dass politisch zu sein für ihn bedeutete, Missstände anzuprangern, lautstark natürlich, dagegen zu halten (wogegen auch immer). Kritik, Anklage, Widerspruch. Die wirklich gute Antwort auf seine Frage, die mir sofort auf der Zunge gelegen hatte, versäumte ich leider auszusprechen, den Leitspruch der Frauenbewegung der 1970er Jahre: Das Private und das Persönliche sind politisch. Den Satz zu sagen erschien mir banal und in Bezug auf meine Texte zu offensichtlich. Als würde ich etwas aussprechen, das eh alle wissen, und was längst fest verankert ist im kollektiven Bewusstsein und Empfinden. Weit gefehlt. Immerhin brachte ich an, dass ich nicht alles, was derzeit passiert auf der Welt für schlecht und beispielsweise die metoo-Bewegung für eine tolle und positive Entwicklung halte. Darauf wussten die beiden nicht mehr viel zu erwidern, es fehlte ihnen das Vokabular. Oder fühlten sie sich angegriffen? Beschämt gar? Verängstigt?