Der Rat für deutsche Rechtschreibung befasste sich in dieser Woche mit dem Thema „geschlechtergerechte Schreibung“. In der Süddeutschen Zeitung vom 7. Juni 2018 erschien hierzu ein, wie ich finde, sehr guter Gastbeitrag von Henning Lobin, Sprachwissenschaftler an der Universität Gießen, und Damaris Nübling, Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen in Mainz. Beitrag auf SZ-Online.
Da ich nicht weiß, wie lange der Artikel im Netz frei zugänglich ist, möchte ich die wichtigsten Thesen und erwähnten linguistischen Forschungsergebnisse aufgreifen und zusammenfassen.

Der Artikel behandelt die Frage, ob die deutsche Sprache sich von der männlich dominierten Geschlechterordnung emanzipieren soll und bejaht diese Frage explizit: „Wer die Gleichstellung der Geschlechter will, muss sie auch beide ansprechen.“ [Anmerkung: das sog. dritte Geschlecht wird in dem Beitrag noch nicht berücksichtigt; ein Schritt nach dem anderen…]

Die Art wie wir sprechen, welche sprachlichen Gesten und Metaphern wir verwenden, wird von unserer Sicht auf die Welt geprägt. Umgekehrt, das machen die beiden Linguist*innen anhand verschiedener Beispiele deutlich, wirkt auch die Sprache, die wir verwenden, auf unsere Umwelt zurück. Insbesondere in der deutschen Sprache, die z.B. sagt: der Schriftsteller, die Schriftstellerin (im Englischen geschlechtsneutraler: the writer), lebt die männlich dominierte Geschlechterordnung trotz verschiedener Versuche, diesen sprachlichen Anachronismus aufzuheben, fort. So gilt es als grammatikalisch richtig bei einer Gruppe von Menschen unterschiedlichen Geschlechts die männliche Form zu verwenden, um diese Gruppe zu benennen. Sind vier Wissenschaftler und drei Wissenschaftlerinnen im Raum spricht man von ihnen der Einfachheit halber in der männlichen Form als Wissenschaftler. Grammatikalisch richtig wäre es bisher sogar, von Ärzten, Anwälten, Ingenieuren etc. zu sprechen, wenn der Frauenanteil in der so bezeichneten Gruppe überwiegt. Es genügt ein einziger Mann in einer Gruppe, um die männliche Sprachform zu legitimieren. Acht Künstlerinnen, ein Künstler und doch werden alle zusammen als Künstler benannt. Dies ist gemeint, wenn vom „generischen Maskulinum“ die Rede ist.

Gendergerechte Sprache meidet generisches Maskulinum
Gendergerechte Sprache jedoch würde bedeuten, genauer zu sprechen und zu differnzieren. Also zu sagen: es sind Ärztinnen und Ärzte im Raum, Ingenieure und Ingenieurinnen. Klar, das ist etwas umständlicher, wird den so bezeichneten Individuen jedoch um Einiges mehr gerecht. Die AfD setzt sich übrigens in ihrem Parteiprogramm für die Abschaffung des „Genderns“ ein.

Die Gegner eines geschlechtergerechten Gebrauchs unsere Sprache – es sind leider auch Gegnerinnen darunter – argumentieren (wenn sie überhaupt argumentieren und nicht nur polemisieren) damit, dass Genus nichts mit Sexus zu tun habe. Das eine sei Grammatik, das andere Biologie. Frauen dürfen sich daher unbedenklich mitgemeint fühlen, wenn von ihnen in männlicher Form die Rede ist.

Die beiden Linguist*innen schreiben dagegen in der Süddeutschen: „Dass etwas mit der „Genus ist nicht Sexus“-These nicht stimmen kann, sieht man schon daran, dass das Genus in bestimmten Fällen das einzige Mittel ist, das natürliche Geschlecht zu bezeichnen. Substantivierte Adjektive werden allein durch das Genus auf Männer oder Frauen bezogen: die Kranke gegenüber der Kranke.“ Wichtiger sei jedoch, dass die linguistische Forschung längst den Nachweis erbracht habe, dass sich das generische Maskulinum direkt und konkret auf unsere Wahrnehmung auswirkt. Wird beispielsweise von Spionen, Terroristen, Flüchtlingen gesprochen, nehmen die meisten Menschen an, es handle sich um reine Männergruppen. In zahlreichen Experimenten wurde nachgewiesen, dass die Sprache die Wahrnehmung lenkt. Und, das steht nicht im Artikel, solcherart verwendete Sprache wird auch bewusst genutzt, um politisch Einfluss zu nehmen. Stichwort neurokognitive Kampagnenführung. Darauf weist die Wissenschaftlerin Elisabeth Wehling hin, siehe ihren Vortrag auf YouTube über „Die Macht der Sprachbilder und politisches Framing.“ Der Begriff Flüchtlinge wird nach Wehlings Untersuchungen bewusst benutzt in Kontexten, in denen vor der „Flüchtlingskatastrophe“ und der „Flüchtlingsflut“ gewarnt wird und „die Flüchtlinge“ als bedrohend, männlichen Geschlechts (!) und gewaltbereit dargestellt werden. Frauen mit Kindern tauchen in diesem Bild nicht auf.

Sprache schreibt Geschlechterrollen fest
Anderes Beispiel: Wenn Männer ihrer Geschlechterrolle nicht entsprechen, also konservativen Vorstellungen von dem, was und wie ein echter Mann zu sein hat, nicht erfüllen, wird ihnen der weibliche Artikel verpasst: Die Schwuchtel, die Tunte, die Memme. Eine Frau, die nicht brav und züchtig ist, wird dagegen vermännlicht: Der Vamp. Zum Neutrum werden verachtete Frauen gemacht: das Weib, das Luder. Oder noch nicht „voll entwickelte“ Frauen: das Dirndl, das Mädchen, das Girlie, das Fräulein. Jungen dagegen „erscheinen von Anfang an, auch in den Dialekten, im maskulinen Genus: der Kerl, der Bub, der Junge. Mehr noch: Verkleinerte Männernamen wie Peterle scheuen in vielen Dialekten das Neutrum, indem sie trotz ihrer Diminutivendung im Maskulinum verbleiben (der Peterle). Umgekehrt bekommen Mädchen und Frauen sehr viel häufiger und oft auch lebenslang diminuierte Namen, die immer im Neutrum stehen (’s Annele).“

Und weiter: „Dass es sich dabei um Reflexe alter, heute weitgehend überkommener Geschlechterordnungen handelt, liegt auf der Hand – dennoch haben sich diese Verhältnisse grammatisch verfestigt. Tief in der Sprache, genauer: in solchen Genus-Zuweisungen lebt die alte Geschlechterordnung fort. Genus verweist also nicht nur auf Sexus, es leistet noch viel mehr: Es verweist auf soziale Erwartungen an die Geschlechter (Gender) und damit auf Geschlecht im umfassenden Sinn.“

Luise Pusch, ebenfalls Sprachwissenschaftlerin, meinte dazu: „Das generische Maskulinum macht Frauen besser unsichtbar als jede Burka.“ Wie recht sie hat!

Fazit der beiden Autor*innen in der Süddeutschen: „Deshalb ist und bleibt der Gebrauch geschlechtergerechter Sprache eine einfache, direkte und wirkungsvolle Möglichkeit, an der Gleichstellung der Geschlechter mitzuwirken.“