München am Tag nach dem Ausscheiden der deutschen Fußballmannschaft aus dem WM-Wettbewerb. Es regnet, es regnet schon den ganzen Tag. Ich bin kein Fußballfan. (Das Wort gibt es auch gar nicht in der weiblichen Form.) Der folgende Text ist meinem in Arbeit befindlichen Projekt „Leibesübungen & Himmelsfrüchte“ entnommen. Ich finde, das passt heute irgendwie.

Regenzeit

Reden wir vom Wetter. Vom Regenwetter. Von den Pfützen auf dem Tennisplatz, von den Hockeymädchen, die umsonst zum Turnier angereist waren, von der wegen Sturmdrohung abgesagten Regatta. Von den durchnässten Joggern, von lehmverspritzten Turnschuhen, von T-Shirts, die nass an Körpern kleben, von Haaren, die triefend in die Stirn hängen. Von Ausrutschern, von behinderter Sicht, von Unmöglichkeiten, vom Kontrollverlust. Vom Trotzdem. Vom Aufbegehren gegen die höhere Gewalt und von der Gelassenheit der Wolken.

Es regnet. Es hagelt. Es stürmt. Es schneit. Es tut, ohne zu fragen. Es hat kein Interesse am Sport. Es hat überhaupt kein Interesse an uns und unseren absurd verzweifelten Versuchen, trockenen Fußes das Spiel zu überstehen. Der Regen rinnt in die Krägen, der Regen rinnt vom Jackensaum und sickert in die Beine der Hosen. Der Regen vertreibt die Zuschauerinnen vom Spielfeldrand, der Regen vertreibt die gute Laune.

Der Regen hört nicht auf. Je länger er dauert, desto enger wird der Raum, den der einzelne Sportler noch für sich beanspruchen mag. Schmalere Bewegungen, sparsamere Gesten, kürzere Sprints. Die Spieler frösteln. Sie suchen die Nähe der anderen, entfernen sich nicht mehr vom Team, stehen dicht beisammen. Wie verängstigte Tiere. Keiner lacht, keiner macht einen Witz. Sie wissen wenig mit der Situation anzufangen, sie schauen in den Regen und in ihren Köpfen beginnen sich Gedanken zu formulieren. Sie verlieren den Zusammenhalt. Sie drängen sich noch dichter aneinander, keiner will das Mannschaftsgefühl entgleiten sehen. Denn ohne Mannschaftsgefühl, das spüren sie, ist keiner von ihnen wichtig hier. Dann macht es keinen Sinn, dass sie im Regen ihr kleines Spiel zu Ende bringen. Und jeder von ihnen denkt, aber das Spiel, das bin doch ich! Und der Regen lässt nicht nach. Und die Spieler frösteln. Und die Gedanken formulieren sich und schweifen ab und verlassen den Platz. Die Spieler sehen traurig aus. Sie brüllen sich gegenseitig an. Sie brüllen laut, um sicher zu gehen, dass der andere noch da ist. Zwei fangen eine Schlägerei an, wälzen sich im nassen Gras. Aber ihre Schläge treffen nicht. Und der Regen fällt. Und der Boden ist weich wie ein Schwamm und kalt.

Der Schiedsrichter pfeift das Spiel aus. Die Spieler trotten vom Feld. Ihre Köpfe sind gesenkt, als ob sie voll gesogen wären und schwer vom Regen und von zu vielen Gedanken, die nicht hierher gehören. In der Umkleide ziehen sie sich um, still, jeder für sich, keiner will dem anderen zeigen müssen, dass er sich schämt. Für da draußen, für die Gedanken, dafür, dass er wegen des bisschen Regens seine Mannschaft verraten hat.