Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Zukünftig soll neben Mann und Frau ein drittes Geschlecht rechtliche Anerkennung finden. Weder Mann noch Frau bedeutet von nun an nicht mehr ohne Geschlecht, wer nicht Mann, nicht Frau ist darf Anspruch darauf erheben, nicht geschlechtslos zu sein. Wie formuliere ich den letzten Satz bloß ohne Verneinung?
Die verfassungsrechtliche Verfügung hat nicht nur für die Beschriftung von Toilettentüren und das Reglement des Wettkampfsports weitreichende Folgen, es stellt die deutsche Sprache insgesamt vor eine große Herausforderung. Neben ihm und ihr, sie, er und es, benötigen wir ganz neue Personalpronomen. Und zwar solche, fordere ich als Literatin, die gut klingen und der so bezeichneten Menschen würdig sind. Ich fühle mich allerdings schon jetzt überfordert von dieser Gerichtsentscheidung, das gebe ich zu. Ich bin noch immer, eigentlich seit ich öffentlich schreibe (ziemlich lang), damit beschäftigt, dem weiblichen Geschlecht seinen angemessenen gleichberechtigten Platz neben dem männlichen Geschlecht sprachlich zukommen zu lassen. Beispielsweise nicht nur von Lesern zu schreiben, sondern auch von Leserinnen, von Besuchern und Besucherinnen usw., dies jedoch so, dass es nicht zu bemüht im Text erscheint. Manchmal geht die Formulierung Lesende, um beide Geschlechter zu meinen, das würde sogar für drei Geschlechtlichkeiten gelten. Studierende, Demonstrierende, Geflüchtete usw. Nicht immer klingt das politisch Korrekte auch poetisch korrekt und toll.
Für Sachtexte mögen Konstrukte wie AutorInnen oder Autor_innen funktionieren. Die neueste Variante in dem Bereich gefällt mir nach anfänglicher Skepsis inzwischen am besten: Geschlechtsvielfaltigkeitsmiteinbeziehung mittels Stern *. Liebe Freund*innen, Genoss*innen, Kolleg*innen. Sieht jedenfalls hübsch aus, wirkt freundlicher als Binnen-groß-i oder Unterstrich und öffnet den Wortzwischenraum für ein spielerisches Drittes. In der Computer-Technologie wird * als Platzhaltersymbol verwendet, als Symbol für alles Mögliche. Eine sogenannte Wildcard. Beim Kartenspielen bedeutet Wildcard Joker.
Vanja, die/der weder Mann noch Frau Person, die den Verfassungsgerichtsentscheid ins Rollen brachte, forderte für den Vermerk in amtlichen Dokumenten neben „männlich“ und „weiblich“ eine dritte Kategorie, die „inter“ oder „divers“ heißen könnte. Das muss ich mir erst mal auf der Zunge zergehen lassen, um das literarische Potenzial eines dritten Geschlechts zu erkunden.
Sehr geehrte Damen, Herren und Inter.
Sehr geehrte Damen, Herren und Diverse.
Sehr geehrte Damen, Diverse und Herren.
Sehr geehrte diverse Damen und Herren.
Auch die Reihenfolge macht einen Unterschied. In die Mitte nehmen, denke ich, eindeutig. Nein, eben nicht eindeutig. Vieldeutig. Die vielbeschworene Mitte als offener Raum für Diversität. Ist Diversität vielleicht sogar nur möglich, wenn sie von starken Polen gehalten und mitgetragen wird?
Die Sprache bestimmt das Bewusstsein und umgekehrt. Liebe Menschen des dritten Geschlechts, ich werde mich noch eine Weile an den sprachlichen Ungleichheitsstereotypen von Männern und Frauen abarbeiten, das mögt ihr mir bitte verzeihen. Heinrich Blücher, der Mann der Politikwissenschaftlerin und Philosophin Hannah Arendt sagte in einer Vorlesung einmal Folgendes: „Jesus sah die Gleichheit der Menschen in der Eigenart, in den unendlichen Möglichkeiten jedes Einzelnen und daher in der absoluten Unantastbarkeit der Person. Aber er wusste, dass man zur Herstellung dieser Gleichheit erst die Ungleichheit zwischen Mann und Frau abschaffen muss, denn hier sind alle anderen Formen der Ungleichheit verankert. “ (Warum Blücher sich als Kommunist auf Jesus bezog ist mir ein kleines Rätsel. Als Brückenschlag etwa zwischen rechts und links?)
PS: Ich habs‘!
Sehr diverse geehrte Menschen.
Puh, und das ist erst die Anrede. Wie weiter im Text?