„Gibt es etwas, das nicht weiblich ist?“ Die Frage las ich vor Kurzem bei einer Veranstaltung der Münchner Performancekünstlerin Ruth Geiersberger, eine(r) der Mitwirkenden hatte den Satz an die Wand gemalt. Die Frage ist schön und selbstgenügsam. Eigentlich eher eine Aufforderung: Halte sie dir vor die Augen wie eine dünne, transparente, farbig schillernde Folie und betrachte die Welt durch sie hindurch. Eigenartig, was man da alles zu sehen bekommt.

Einen Google-Ingenieur, der ein Manifest veröffentlicht, in dem er behauptet, Frauen seien schlechtere Ingenieure, weil sie ein zu großes Interesse an Menschen hätten und zu viel Empathie. Er wurde von Google gefeuert. Yonatan Zunger, Blogger und ebenfalls Ex-Google-Ingenieur schrieb daraufhin, all die Eigenschaften, die das Manifest als ‚weiblich‘ bezeichne, seien die Eigenschaften, die ein erfolgreicher Ingenieur benötige.

Zwei „hyperandrogene“ Sportlerinnen bei der Leichtathletik WM in London, deren Konkurrentinnen verlangen, sie sollen nicht bei den Frauen starten dürfen, weil ihre Testosteronwerte zu hoch sind. Eine Studie, die nach der Klage einer ebenfalls „hyperandrogenen“ indischen Athletin in Auftrag gegeben wurde belegt, dass hohe Testosteron-Werte die Leistung bei Frauen steigern und also einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Muss neben dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozial konstruierten Geschlecht (gender) nun auch noch über ein biochemisches bzw. hormonelles Geschlecht gesprochen werden?
Die Diskussion bei den Athletinnen tut so, als ob es im Sport Wettbewerbsgleichheit gäbe und alle Körper identisch seien. Was ja Unsinn ist. Wo sollen die armen Frauen mit den hohen Testosteron-Werten denn starten? Bei den Männern? Oder müssen sie nun weibliche Hormone schlucken, um wenigstens nur noch als androgyn und nicht mehr als hyperandrogyn zu gelten?

Lann Hornscheidt, geboren 1965 als Antje Hornscheidt, möchte überhaupt keinem Geschlecht mehr angehören, weder dem männlichen noch dem weiblichen. Lann hatte bis Ende 2016 eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Berliner Humboldt-Universität. Lann kritisiert die generelle zweigeschlechtliche Grundkonzeption der Gesellschaft und engagiert sich für eine geschlechtsneutrale Sprache. Aktuell benutzt Lann die Endung –ecs und das Pronomen ecs als Bezugnahme 3. Person Singular. Auf ecs Website findet sich folgender Beispielsatz: „Lann liebt es mit anderen zu diskutieren. Ecs lädt häufig dazu ein, einen Roman zu besprechen. Lann ist Lesecs von vielen Romanen.“

Lann Hornscheidts Ansatz finde ich interessant. Mit der vorgeschlagenen Lösung kann ich nicht viel anfangen. Ecs klingt seltsam, wie eine falsch geschriebene Esc-Taste. Im Schwedischen gibt es seit 2015 offiziell das geschlechtsneutrale persönliche Fürwort hen – neben han für er und hon für sie. Auch in der Isländischen Sprache kennt man inzwischen das geschlechtsneutrale Pronomen hán. Im Deutschen haben wir es. Aber wer möchte schon ein Es sein?! Oder macht Lann einen Denkfehler, nämlich anzunehmen, man müsse gänzlich weiblich ODER gänzlich männlich sein, und daher will Lann lieber keines von beiden? Anstatt von beidem etwas. In Stimmungs- und Situationsabhängiger Mixtur. Die Leichtathletinnen machen es vor, früher hätte man sie Mannweiber genannt. Heute holen sie selbstbewusst Medaillen und sagen „ich pinkle wie eine Frau“ (Caster Semenya, Südafrika). Mir gefallen sie in ihrer männlichen Weiblichkeit. Sie verwirren gewohnte Vorstellungen, und das ist gut.

PS: Dazu ein aktueller Filmtipp: „The Party“ von Sally Potter.