Wochentags, Münchner Innenstadt, belebte Straßenkreuzung. Eine junge Frau mit Hund stand an der Fußgängerampel und wartete auf Grün. Um die rechte Hand hatte sie die Hundeleine gewickelt, mit der linken hielt sie das Smartphone ans Ohr. Ein Wunder an geteilter Aufmerksamkeit, hören, reden, schauen, kontrollieren. Das Tier schnupperte unterdessen interessiert am Boden. Es war ein dunkelbrauner Langbeiner mit gepflegtem Fell und intelligentem Hundegesicht, edel, wohlerzogen, stattlich und sichtlich unbeeindruckt vom vorbeirauschendem Verkehr. Ein urbaner Hund, dachte ich, ein gutangezogener warmleibiger Begleiter, der seine Herrin verwegen elegant und cool aussehen lässt.

Vom Kreuzungsübergang, an dem die Fußgängerampel das Überqueren der Straße erlaubte, näherte sich ein vollbärtiger Mann, nicht viel älter als die Frau und wie sie gepflegte Verwegenheit und Coolness ausstrahlend. Der Vollbärtige hielt sowohl in der rechten als auch in der linken Hand eine Hundeleine. Seine beiden Hunde glichen dem Hund der Frau auf verblüffende Weise. Bevor die Ampel, an der sie wartete, auf Grün sprang kam es zum unausweichlichen Rendezvous: Drei Hunde, eine telefonierende Frau, ein Mann, dessen einer Hund den Weg über die linke Flanke des am Boden schnüffelnden Langbeiners wählte, während der andere Hund es vorzog, rechts am Schnüffler entlang zu flanieren. Die Frau drehte kurz den Kopf zum Mann. Dieser, in Gedanken versunken und/oder von unzureichender Geistesgegenwart beseelt, verpasste es jedenfalls, rechtzeitig beide Hundeleinen in eine Hand zu nehmen und wurde durch die auseinanderstrebenden Bewegungen seiner vierbeinigen Gefährten gezwungen, die Arme auszubreiten. Noch zwei Schritte weiter und er musste entweder eine Hundeleine fallen lassen oder: die Frau umarmen.

Die Frau telefonierte unbeirrt. Sie krümmte den Körper, beugte Kopf samt Telefonohr hinunter, führte die eigene Hundeleine unter der fremden Leine hindurch, fasste sie mit der Telefonhand. Ein Kunststück an Geschicklichkeit, Pragmatismus, Timing. Der Mann ging, ohne umarmt zu haben, auch ohne gelächelt, sich entschuldigt oder irgendetwas gesagt zu haben, den Gehweg entlang. Die unumarmte Frau kommunizierte weiter mit ihrem Telefon. Auch sie hatte dem Mann kein Lächeln geschenkt. Die Fußgängerampel sprang auf Grün. Einen romantischen Hollywood-Moment lang waren die beiden füreinander bestimmt gewesen, schicksalhaft, da bin ich ganz sicher. Aber nein, es gibt keine Fatalität mehr in unseren Zeiten. Wir behalten alles in der Hand.