Als gefährdet und vom Aussterben bedroht gelten Sprachen, die von immer weniger Muttersprachlern gesprochen und dementsprechend von nachfolgenden Generationen nicht mehr erlernt werden können. Nach einer Lesung sagte kürzlich jemand zu mir, ich würde in einer Sprache schreiben, die keiner mehr spricht. Der Satz war als Kompliment gedacht. Meine Texte sind auf Deutsch verfasst, von echter Gefährdung kann also keine Rede sein. Was aber hatte der Zuhörer dann gemeint?

Wie so ziemlich alles, was von Menschen erzeugt und hervorgebracht wird, kann auch Sprache auf friedliche und konstruktive Weise oder auf gewalttätige und zerstörerische Weise benutzt werden. Das beste Beispiel für letzteres liefert derzeit der designierte amerikanische Präsident Donald Trump. Dabei sind die USA das Mutterland der „Gewaltfreien Kommunikation“, die der amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg seit den 1960er Jahren entwickelte und in Seminaren und Trainings weltweit lehrte. Rosenberg selbst sagte, er lehre nichts Neues, alles, was in der Gewaltfreien Kommunikation integriert wurde, sei schon seit Jahrhunderten bekannt. Es gehe darum, „uns an etwas zu erinnern, das wir bereits kennen – nämlich daran, wie unsere zwischenmenschliche Kommunikation ursprünglich gedacht war.“

Rosenbergs Konzepte werden inzwischen nicht nur im therapeutischen Kontext angewandt, auch in Schulen und Organisationen, bei diplomatischen und geschäftlichen Verhandlungen, im Bereich der Mediation und der Krisenintervention findet die gewaltfreie Kommunikation ihre Anwendung. Beispielsweise haben 1994 serbische Pädagoginnen und Psychologen mit Unterstützung der UNICEF (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen), ein dreibändiges Kompendium zum Erlernen gewaltfreier Kommunikation für Kindergärten und Schulen herausgebracht. (Quelle: wikipedia).

Rosenberg formulierte seine Methode insbesondere für die Eins-zu-eins Kommunikation zwischen zwei Personen. Beziehungspartner, Eltern und Kind, ich und du. Die zugrunde liegende Idee lässt sich ausweiten auf Sprache allgemein. Verkürzt gesagt geht es darum, dem anderen ohne Vorurteile und negative Bewertungen zu begegnen, da diese beim Gegenüber Ärger, Wut, Frustration, Ohnmacht und Hilflosigkeit auslösen und reflexartig zu Gegenangriffen, Rechtfertigungen und Beleidigungen oder Kommunikationsabbruch führen. In der Gewaltfreien Kommunikation wird aggressive Sprache als Wolfssprache bezeichnet. Wenn jemand Wolfssprache spricht, fühlt sich ein anderer herabgesetzt, entwürdigt und schlecht. Wolfssprache ist die Sprache der Streitlust und des Streits, des Rassismus, des (Neo-)Faschismus, des Populismus, der Kriegslüsternheit, aller Zustände von Krieg.

Als ich einmal gefragt wurde, was meine früheste Gewalterfahrung sei, antwortete ich spontan: verbale Gewalt. Dabei wurde in meinem Elternhaus und sonstigem Umfeld nicht besonders aggressiv oder gewalttätig geredet. Kraftausdrücke und explizite Beschimpfungen kamen eher selten vor. Doch meine Eltern, Jahrgang 1935, verbrachten ihre Kindheit in einem totalitären Staat. Die Erfahrung von Krieg und Gewalt prägte ganze Generationen und ihren Sprachgebrauch. Das setzt sich bis in die Gegenwart fort.
Verbale Gewalt steckt oft weniger in dem, was gesagt wird, sondern darin, WIE etwas gesagt wird. Sprache ist mehr als das Aneinanderreihen von Worten und Sätzen. Sprache findet ebenso zwischen den Wörtern und Zeilen statt. Und Sprache ist auch das, was in einer bestimmten Situation nicht gesagt und ausgelassen wurde. Wenn Menschen sich gegenseitig verbal anrempeln, runtermachen und verletzen, geschieht das in vielen subtilen und weniger subtilen Nuancen.

Manchmal nehme ich mir vor, eine Art Katalog zusammenzustellen einer ganzheitlichen und gewaltfreien Sprache, die bald niemand mehr spricht, wenn öffentliche Personen wie Trump zu rhetorischen Vorbildern werden. Einen Versuch wäre das auf jeden Fall wert. Eine Grammatik einer Sprache der Liebe…