Auf Seite 3 der Süddeutschen Zeitung ist ein interessantes Foto abgedruckt. Auf dem Foto trägt ein Demonstrant der wöchentlichen Pegida Aufmärsche in Dresden ein Schild mit der Aufschrift: ISLAM = KARZINOM. Ausländerfeindlichkeit und Krebs. 

Das Bild entspricht auf seltsame Weise einem Gefühl, das sich bei mir seit einiger Zeit jedesmal einstellt, wenn ich am Münchner Hauptbahnhof in den Zug steige, um zu meiner krebskranken Mutter nach W. zu fahren. In München gehe ich an den Absperrgittern entlang, die dazu dienen, ankommende Flüchtlinge in die für sie bestimmte Empfangshalle zu schleusen. Ich komme an Gruppen von Polizisten vorbei, die am Gleiskopf auf Züge aus Salzburg oder Verona warten. Oder ich sehe, wie Polizisten in Zivil die Ausweispapiere von Menschen mit dunkler Hautfarbe kontrollieren und ihre Taschen durchsuchen. In W. erwartet mich eine Perücke tragende, glatzköpfige Mutter, Angst, Stress, Erschöpfung, Berichte über die medizinische Kampftechnologie in Sachen Krebsbekämpfung. Ich lege meiner Mutter eine Kastanie ans Krankenhausbett, damit sie etwas zum Festhalten hat, einen Handschmeichler, wenn sie das nächste Mal in die Bestrahlungsröhre muss. Sie sagt, es dauere ja nicht lang, aber es fühle sich jedesmal an, wie in eine Todesröhre geschoben zu werden. Kalt, metallisch und dunkel. Nach drei Besuchstagen fahre ich zurück nach München, wo die aus Syrien und Afrika eingetroffenen Zuflucht Suchenden dringend feste Schuhe benötigen und der Empfang nach hinten ins Innere des Bahnhofsgebäudes verlegt wurde, damit die rechten Pöbler ins Leere spucken.

Die islamophobe Angst entspricht in meiner Wahrnehmung energetisch der Angst vor Krebs. Nichts anderes besagt der Slogan auf dem Zeitungsfoto. Das Szenario ist das gleiche: Ein Feind infiltriert den eigenen Körper bzw. das eigene Land und führt durch unkontrollierbare Ausbreitung und Vermehrung zum Tod des Körpers, zum Niedergang der Nation. Das Böse ist eine fremde, teuflische Übermacht im Inneren. DER Islam, DER Krebs. Die Guten sind in diesem Szenario unschuldig, tapfer, fromm und hilflos und dem Bösen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Einzig durch Vernichtung der Auswüchse kann das Weiterleben und Existieren der guten, gesunden Substanz gewährleistet werden. Jemand soll dafür sorgen, Politiker und Ärzte, dass DER Krebs/DER Islam vollständig ausgerottet wird. Es gilt Entweder – Oder Logik. Versöhnung und Miteinander, Yin-Yang Verhältnisse, Dialog, Dialektik, Differenzierung, Eigenverantwortung, Ganzheitlichkeit, Neugierde und Humor kommen in angstgesteuerten Weltbildern nicht vor.

Irgendwo habe ich kürzlich den Satz gelesen: What you fear gets power.